The 7. Peking to Paris Motor Challenge 2. Juli 2019 - Day 31: Mikolajki nach Bydgoszcz (375 km)

Unser Hotel war ein riesengrosser Schuppen und beherbergte neben den rund 280 Personen der Rallye nochmals mindestens weitere 100 Personen aller Farben, Schattierungen und Herkünfte. Entsprechend gross war der Speisesaal, ohne Roadbook war das Buffet fast nicht zu finden. Unser Organisator hat offenbar im Vorfeld kommuniziert, dass unsere Truppe gerne Rotwein und andere Alkoholika trinkt und tatsächlich wurde eine rollende Bar auf einem Servierwagen hergerichtet. Es gab zwei Rotweine, einen lokalen in einer nicht näher identifizierbaren Flasche sowie einen Bordeaux aus dem Jahre 2016 mit der Aufschrift 'Grand Misère' oder so ähnlich. Ich entschied mich für den Bordeaux und bestellte eine Flasche mit vier Gläsern.

Der junge Kellner war ab dieser Bestellung völlig überfordert, da ihm offenbar gesagt wurde, dass unsere Truppe diesen Wein jeweils nur glasweise bestellen täte (das ich nicht lache). Vorsichthalber sagte er in holperigem Englisch, dass keine ganzen Flaschen vorrätig seien. Da geriet er aber definitiv an die Falsche! Seine Chefin - kaum älter als er - welche im Hintergrund meine Bestellung mitgekriegt hatte, stauchte ihn auf polnisch nach allen Regeln der Kunst und ohne Rücksicht auf Verluste zusammen um mir am Schluss mitzuteilen, dass sehr wohl solche Flaschen vorrätig seien und wir uns getrost hinsetzen könnten, die Flasche werde gebracht. Der junge Kellner - sichtlich eingeschüchtert - schob die ganze Bar quer durch den Raum an unseren Tisch, stellte vier Gläser hin und begab sich sofort auf die Suche nach einer ganzen Weinflasche des bestellten Typs. Kaum fünf Minuten später kam er mit einer passenden Flasche zurück, öffnete diese und goss unsere Gläser beinahe randvoll ein. Als ich mit meiner Kreditkarte zahlen wollte, geriet er erneut ins Stocken. Zwar war der Flaschenservicewagen mit einem Notepad und einem Kreditkartenterminal ausgestattet, aber auf dem Notepad waren nur Preise für Einzelgläser Wein gespeichert und das Kreditkartenterminal konnte nur polnische Kreditkarten verarbeiten.

Das war nun doch etwas zuviel für den jungen Mann und er suchte verzweifelt nach seiner Chefin. Diese war aus x-welchen Gründen nicht abkömmlich, also musste einer der Chefs de Service gefunden werden. Nach weiteren gefühlten zwei Stunden war dann der Preis der Flasche bekannt (umgerechnet exakt CHF 21.25) sowie ein für europäische Kreditkarten taugliches Zahlungsterminal gefunden. Nun ging es Schlag auf Schlag und noch kurz bevor wir die erste Flasche unseres Bordeaux geleert hatten, konnte der Zahlungsvorgang erfolgreich abgeschlossen werden. Sicherheitshalber haben wir nochmals eine Flasche bestellt, diesmal aber direkt bei der Chefin des jungen Kellners an der Bar und dort klappte die ganze Transaktion innert weniger Minuten.

Derart gefordert und beinahe entkräftet, begaben wir uns nach dem Essen auf den Parkplatz, wo tatsächlich die schon erwähnte Car-Park-Party stattfand. So venünftig wie Röbi und ich manchmal sein wollen, haben wir uns mit ungefähr einem Schlummerbecher begnügt und sind irgendwann wohlbehalten in unseren weichen Betten untergekommen.   

Den ganzen heutigen Tag über hat es stark gewindet, manchmal richtig gestürmt und immer wieder geregnet. Das hat 'Isabella' alles nichts ausgemacht, wohlbehalten brachte sie uns ins Ziel nach Bydgoszcz (keine Sorge, ich kann es auch nicht aussprechen). Wiederum fuhren wir mehrheitlich durchs polnische Hinterland, teilweise auf fürcherlichen Holperstrecken, welche kaum mehr als 20 km/h zuliessen. Von den drei geplanten Sondeprüfungen konnten nur zwei gefahren werden, beides waren Rundkurse und wir haben sie wie üblich zurückhaltend absolviert.

Auf dem Hotelparkplatz haben wir wieder einmal die Getriebeeingangswelle mit dem Kupplungausrücklager geschmiert sowie das Spiel des rechten vorderen Radlagers nachgestellt. Auch den Ölstand im Differential haben wir geprüft, alles ist im grünen Bereich. Bei der näheren Inspektion der Blattfedern mussten wir feststellen, dass sich das vordere Auge der linken Blattfeder um einen Viertel geöffnet hat (oder evt. ein Stück abgebrochen ist?). So ist jetzt ein Teil des Haltebolzens sichtbar, was sicher nicht optimal ist. Wir vermuten, dass das eine Folge des seitlichen Auffahrunfalles von Kasachastan ist, können es aber nicht mit Sicherheit bestätigen. Andererseits können wir uns fast kein anderes Ereignis vorstellen, bei dem das Auge einer Blattfeder geöffnet wird. Wir haben jetzt vorsichtshalber mit einer starken Spannset-Gurte die Hinterachse links an einen starken Stahlträger in der vorderen Fahrzeughälfte gespannt. Dies sollte das geöffnete Auge beim extremen Ein- und Ausfedern etwas entlasten. Andererseits kann das Fahrzeug jetzt hinten links etwas weniger gut einfedern. Wir werden morgen einmal schauen, wie das Fahrverhalten ist und dann entscheiden, ob wir die Spannset-Gurte dranlassen oder nicht. Ganz wohl ist uns bei der Sache nicht, denn wir haben beide hinteren Reserve-Blattfedernblätter bereits in der Mongolei montieren müssen. Sollte dieses jetzt auch noch ganz reissen, müssten wir improvisieren. Da wir genügend Spannset-Gurten dabei haben (gehört zur Grundausrüstung eines Oldtimer-Rallyefahrzeuges, wie frische Unterhosen etc.), wird uns hoffentlich schon etwas einfallen. Falls es tatsächlich eine Nachwehe des Unfall ist, dann hat dieser Zustand schon mehrere tausend Kilometer gehalten und wird es hoffentlich auch noch bis Paris tun. Wir sind also guten Mutes!

Der ganze Rallye-Betrieb wird zusehends entspannter und wir haben keine Zeitprobleme mehr. Die Blase kann nun zur gewünschten Zeit, in Ruhe und nachhaltig geleert werden. Die Zeit reicht sogar für einen kleinen Mittagsimbiss und bei den Tankvorgängen können wir jetzt die eine oder andere Frage der lokalen Bevölkerung beantworten. Aber nach wie vor fallen jeden Tag einige Fahrzeuge aus, resp. kommen wegen Pannen zu spät zur abendlichen Zeitkontrolle. Seit dem Unfall in Kasachstan sind wir jetzt immer pünktlich angekommen und hoffen, dass das bis Paris so bleibt. 

 

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