The 7. Peking to Paris Motor Challenge 13. Juni 2019 - Day 12: Ausserplanmässiger Ruhetag 1 in Novosibirsk
Heute beim Frühstück fanden wir viele bekannte Gesichter vor. Gegen 10 Fahrzeuge sind bereits hier in den Werkstätten untergebracht (und ebensoviele können erst heute von der Mongolei nach Russland einreisen). Alle haben das gleiche Problem, nämlich in vernünftiger Frist an Ersatzteile zu kommen. Sollte sich je einmal jemand von euch in der Schweiz über die Bedächtigkeit von Amtsspersonen aufgeregt haben, dann kommt bitte nach Russland. Da weiss weder die rechte noch linke behördliche Hand genau, was sie tut. Es wird einfach nach irgendeiner Anweisung gehandelt, ganz egal, ob sie Sinn macht oder nicht.
Offensichtlich war es eine gute Entscheidung, unsere benötigten Ersatzteile via Kurier einfliegen zu lassen, auch wenn das Visum für Sybille noch nicht erteilt wurde. Andere Teilnehmer haben bereits von Ulan Bator aus - also vor 6 Tagen - Teile nach Novosibirsk geordert. Diese sind bis heute noch nicht angekommen und vergammeln wohl bald an irgendeiner Zollstelle in den Weiten Russlands. Die Uhren ticken hier einfach anderes, fast könnte man meinen, der erste Beamte, welcher sich bewegt, wird bestraft.
Ganz anders steht es um die Bevölkerung. Überall werden wir herzlichst empfangen und bestens betreut. Gestern als wir unseren defekten Achsschenkel tauschten, hat eine russische Familie angehalten, auf einem kleinen Gaskocher Tee gemacht und Schokolade gereicht. Zudem durften wir seinen Wagenheber benutzen und vermutlich hat er uns auch gute Ratschläge gegeben. Wir haben sie einfach nicht verstanden, da diese in russisch formuliert waren. Das Rad konnte er leider auch nicht finden.
In der Schweiz habe ich bei Victorinox dreissig Taschenmesser gekauft, welche wir sporadisch an die Bevölkerung abgeben. Auch Röbi verteilt Schlüsselanhänger mit kleinen Faltbildern der schönsten Schweizer Orte. Das kommt immer gut an, ganz im Sinne: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.
'Isabella' steht direkt neben dem Hoteleingang auf drei Rädern und einem Unterstellböckli. Wir haben alles aus- und aufgeräumt und die gröbsten Sandspuren im Innerraum beseitigt. Der rechte Kotflügel ist ziemlich zerknittert, dies als Folge des abgebrochenen Rades, welches sich darunter hervorgezwängt hat. Auf Grund Röbis Mimik muss ich mir aber keine Sorgen machen, er wird das bestimmt wieder irgendwie zurecht klopfen können. Der den Vorplatz beaufsichtigende livrierte Hotelangestellte hat alles beobachtet und mir versichert, dass er immer ein wachsames Auge auf 'Isabella' haben werde und falls er einmal nicht da sein sollte, sei der Platz mit einer Kamera überwacht. Tatsächlich hängt an einer Wand eine solche Kamera, das Anschlusskabel hängt aber frei herunter. Na ja ...
Nach und nach erfahren wir die Leidesgeschichten der anderen Anwesenden und die Geschichten jener, die noch auf dem Truck nach Novosibirsk unterwegs sind. So gesehen haben wir bis heute nur Lappalien erlebt und wenn wir das Rad gestern gefunden hätten, wären wir schon wieder auf eigener Achse unterwegs. Der Fahrer eines Alfa-Romeo Spider hat sich bei einer Wasserdurchfahrt gröber verschätzt. Im Intenet kursieren Bilder, wie das Auto bis zum Kofferraumdeckel im Wasser steht. Es mach also durchaus Sinn, solche Wasserdurchfahrten vorher zu rekognoszieren .
Die ganze Truppe (mit ganz wenigen Ausnahmen) kommt sehr gut miteinander zurecht und wir haben schon viele gute Bekanntschaften geschlossen. Es hat dieses Mal auffällig viele (Ehe-)Paare dabei, ebenso wie früher einige Vater-Sohn und Vater-Tochter Teams. Wir haben bereits drei Teams kennen gelernt, welche zum aller ersten Mal eine Rallye fahren und recht gefordert sind. Eine dieser Damen hat sich heute Morgen ziemlich über den Sand, Staub und Dreck aufgeregt. Zudem musste sie ihrem Mann helfen, das Fahrzeug mit den blossen Händen aus dem Sand zu schaufeln. Als wir ihr vorsichtig mitteilten, dass wir Spass hätten und uns für 2022 bereits auf die Interessentenliste haben setzen lassen, meinte sie nur, dass sie in jedem Fall auch wieder dabei sein werde, da sie diesen Spass nicht alleine ihrem Mann überlassen wolle. Da soll mal einer die Frauen verstehen!
Wir haben jetzt rund einen Drittel der Rallye hinter uns und dürfen klar feststellen, dass die jetzige Rallye im Vergleich zu 2013 und 2016 deutlich anspruchsvoller geworden ist. Der Fahrzeugverschleiss (und bei einigen auch der Verschleiss der Nerven) ist enorm und wir staunen immer wieder, was die lokalen und eigenen Reparaturequipen alles zu Stande bringen. An (fast) jedem Etappenort sind mobile Werkstattplätze aufgebaut und es wird geschraubt, gehämmert und geschweisst, was das Zeug hält. Jeder hilft jedem mit Rat und Tat, ein richtig gutes Gemeinschaftsgefühl. Angebrochene Chassis werden mit Metallstäben verstärkt, diverse Fremdteile (vor allem von Lada) angebracht, für europäische Verhältnisse völlig irreguläre Reifen montiert sowie abgefallene Lampen und Radschutzbleche nicht ersetzt. In Paris ankommen ist das Ziel!
Die eingesetzten Fahrzeuge bilden ein riesen grosses Sammelsurium. Vor allem die alten Bentleys stechen durch ihre Robustheit und Zuverlässigkeit heraus, auch wenn dort eines der Chassis etwas gelitten hat. Allerdings konnte es geschweisst werden, bevor es ganz zerbrochen ist. Bei den Nachkriegsfahrzeugen sind es vor allem die Porsches und Datsun 240Z, welche sich an der Spitze etablieren konnten. Eher ungeeignet sind die italienischen Modelle: Der Ferrari Dino hat schon mehr Kilometer auf dem Lastwagen zurück gelegt als auf eigener Achse und die beiden Alfa-Romeo Gulia müssen fast jeden Abend ins Camp geschleppt werden. Der Fiat Spider ist schon vor uns in Novosibirsk angekommen und nur der Alfa Spider scheint wieder auf eigener Achse unterwegs zu sein, aber bekanntlich kann der nicht schwimmen.
Erstaunlicherweise ist auch ein grosser Teil der Mercedes ausgefallen und die für Robustheit bekannten Volvos haben mehrfach Mühe, dem Tross zu folgen. Viele Fahrzeuge scheinen nicht ganz optimal vorbereitet gewesen zu sein, denn abgerissene Auspuffanlagen oder leck geschlagene Ölwannen oder dreckige Benzintanks oder defekte Benzinpumpen oder undichte Kühler sollten nicht vorkommen. Dass ein- oder zwei Mal eine Aufhängung bricht oder ein Stossdämpfer abreisst oder eine Blattfeder ersetzt werden muss, gehört jedoch zum Alltag und bringt erfahrene Crews nicht sonderlich ins Schwitzen.
Derzeit geht gerade ein kräftiges Gewitter über Novosibirsk nieder, ein guter Grund, nach dem nun folgenden Nickerchen direkt zum Apéro über zu gehen .
Herzlichen Dank all jenen, welche meine Beiträge fleissig kommentieren und/oder uns sonst via Medien etc. unterstützen!
Nachtrag: Habe soeben erfahren, dass Sybille morgen Mittag das Visum abholen und am Abend auf den Flieger gehen kann. Wie sage ich doch immer? Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Fabrizio 14.06.2019 07:23
Liebe Freunde
Das ist jetzt wirklich Pech. Zuerst macht sich das Rad selbständig und verschwindet dann noch so, dass es nicht mehr gefunden wird.
Aber so wie ich euch kenne, lasst ihr euch nicht aus der Ruhe bringen und wartet auf die Sonderagentin Sybille mit den Ersatzteilen.
Offensichtlich kennen die russischen Beamten das Spiel "Mikado" sehr gut und wissen, dass der Erste welcher sicht bewegt, verloren hat. 😉
Geniesst es trotz der momentan widrigen Umstände, trickt einen oder zwei Prosecco und ich bin sicher, dass ihr das Ziel "gesund in Paris ankommen" schafft.
Liebe Grüsse
Fabi
Ruth 13.06.2019 07:32
Wünsche euch trotzdem einen erholsamen Tag mit hoffentlich gutem und genug. Prosecco . Herzlich Ruth